Mit ihrem Film „Bewundert, beneidet, totgeschwiegen – Albert Richter, der Bahnrad-Weltmeister“ haben eine Schülerin und ein Schüler unserer neunten Klasse sich am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2020/2021 beteiligt und sind Landessieger geworden. Nun nehmen sie an der nächsten Runde – der Bundesrunde – teil und im Herbst wird sich entscheiden, ob sie auch einen Bundespreis erhalten. Was es mit dem Kölner Albert Richter auf sich hat und wie es war, sich während der Pandemie einem Recherche- und Filmprojekt – das es in einer gekürzten Version an unten genannter Stelle zu sehen gibt – zu diesem fast vergessenen Radsportler zu widmen, beschreiben die Preisträger hier:
(15. Jun. 2021, Ber; Fotos: Leon Küsche [aufgenommen im Radstadion Köln])
Wir, Nele Platten und Leon Küsche (Klasse 9c), haben in diesem Frühjahr am 27. Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten (Körber-Stiftung) teilgenommen. Seit dem 15.06. ist es nun offiziell: Wir haben für unseren Beitrag einen Landespreis erhalten, den höchsten Preis, den man in der Landesrunde erhalten kann! Nun werden wir in die Bundesrunde weitervermittelt, in der wir im November die Chance auf einen Bundespreis bekommen. Wir sind sehr gespannt, wie es mit unserem Beitrag weitergeht.
Hier ein paar Informationen zu unserem Wettbewerbsbeitrag: Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten findet alle zwei Jahre im Zeitraum vom 1. September bis zum Einsendeschluss am 28. Februar statt. Das Motto der aktuellen Ausschreibung 2020/21 lautete „Bewegte Zeiten. Sport macht Gesellschaft“. Eines der Kriterien war, dass das von den Teilnehmern ausgewählte Thema einen regionalen oder familiären Bezug haben musste, und so stießen wir nach intensiver Recherche auf den bis dahin uns unbekannten Bahnrad-Weltmeister Albert Richter.
Der während der NS-Zeit sehr erfolgreiche und bekannte Kölner Bahnradrennfahrer Albert Richter war auf Anhieb eine uns in den Bann ziehende Persönlichkeit mit einer einzigartigen Biografie. Albert Richter, der 1912 geboren wurde und in einer Arbeiterfamilie aufwuchs, begann mit 16 Jahren, heimlich erste Radrennen zu fahren.
Er wurde schnell besser und wurde schon nach kurzer Zeit Amateurweltmeister. Schließlich wechselte er zu den Profis und gewann dort viele Titel.
Da er während der NS-Zeit lebte, könnte man denken, dass er wie die meisten Sportler der nationalsozialistischen Partei beigetreten wäre, um als Staatsheld von den Nazis gefeiert zu werden.
Doch Albert Richter war anders: Er verweigerte den Hitlergruß, trug kein Trikot mit Hakenkreuz und wollte trotz erheblicher Schwierigkeiten weiter von seinem jüdischen Manager und Freund Ernst Berliner gemanagt werden. Als Spitzensportler hielt er sich bei Wettkämpfen und zum Trainieren oft im Ausland auf und so waren die meisten seiner besten Freunde aus dem Ausland. Politisch aktiv war er zwar nicht, aber durch die oben genannten Gesten wurde schnell klar, dass er die Nazis und deren Ansichten nicht guthieß.
Durch seine große Popularität wurde er zur Gefahr für die Nazis, da er als Sportler beliebt war und auf die Gesellschaft großen Einfluss hatte. Da er nicht als Soldat in den Krieg gegen Frankreich ziehen und dort auf seine Freunde schießen wollte, beschloss er, in die Schweiz zu flüchten. Im Gepäck hatte er geheim auch das Geld seines jüdischen Freundes Alfred Schweizer, der das Geld, als er floh, nicht mitnehmen durfte, versteckt und wollte es ihm in die Schweiz bringen. An der Grenze wurde Albert Richter wegen Geldschmuggels verhaftet. Im Gefängnis starb er wenige Tage später einen rätselhaften Tod, der bis heute nicht gelöst wurde. Manche gehen von Verrat und Mord aus, manche von Selbstmord. Auch die Zeitungen berichteten von verschiedensten Ursachen. Die Nazis selbst behaupteten zunächst, es sei ein Skiunfall gewesen, da Albert Richter oft in die Schweiz zum Skifahren gereist war. Jedoch wurde dies von ausländischen Zeugen und Kollegen widerlegt und so wurde von der Tatsache „auf der Flucht erschossen“ gesprochen, was jedoch ebenfalls widerlegt wurde. Nun hieß es Selbstmord durch Erhängen. So gab und gibt es sehr viele Widersprüche.
Wir begannen, über ihn zu recherchieren. Wir fragten in Archiven, in Büchereien, in Museen und bei der Sporthochschule nach und recherchierten im Internet. Außerdem befragten wir Bekannte und Passanten, um herauszufinden, wie viele Personen Albert Richter kennen. Nachdem wir viele Informationen gesammelt hatten, fingen wir an, Wichtiges herauszusuchen und in Textform zu bringen. Dann begannen wir mit der Erstellung unseres Beitrags: Wir wollten ein Erklärvideo drehen. Als wir anfingen, unser Video zu schneiden, entwickelte sich unser Film aber allmählich zu einem Dokumentarfilm, was wir aber nicht schlimm fanden, da dieses Genre dann doch deutlich besser passte. Am 28. Februar reichten wir unseren Beitrag ein und waren sehr glücklich, es noch rechtzeitig geschafft zu haben – eine gekürzte Version findet sich hier:
Mit Ratschlägen zur Seite gestanden haben uns unsere Eltern (Tutoren), unser Tutor Herr Bergheim und viele weitere Personen, die wir über die Zeit kennengelernt haben, so wie Renate Franz, die Kölner Buchautorin, die das einzige Buch über Albert Richter verfasst hat. Wir haben auch ein Interview mit dem Bezirksbürgermeister Andreas Hupke geführt, der an dem Buch beteiligt war. Auch die Filmemacher (Regisseure, Drehbuchautoren) der Filme „Auf der Suche nach Albert Richter – Radrennfahrer“ und „Tigersprung“ haben wir kennengelernt und mit ihnen Gespräche geführt. Zusätzlich haben wir uns auch mit dem Initiator einer Petition zur Umbenennung des Kölner Radstadions und des Platzes davor im Kölner Radstadion getroffen.
Uns hat dieser Wettbewerb viel Spaß gemacht und es war sehr interessant, über ein spannendes Thema zu forschen und neue, unerwartete Informationen zu erhalten. Das Corona-Virus brachte zwar Einschränkungen, wodurch wir leider keine persönlichen Besuche vornehmen konnten, jedoch wurde uns immer sehr schnell per E-Mail weitergeholfen.
Wir können die Teilnahme am Geschichtswettbewerb geschichtsbegeisterten Schüler/-innen empfehlen, die Lust am Forschen und Ausprobieren haben. Auch wenn die Teilnahme ziemlich anstrengend war, war es ein tolles Erlebnis.
Zum Schluss kommen wir noch einmal auf Albert Richter zurück, um zu erklären, warum unsere Begeisterung für ihn so groß war:
Wir finden es sehr wichtig, dass an Personen erinnert wird, die so gehandelt haben wie Albert Richter. Albert Richter passte aufgrund seines Aussehens genau in das Schema der Nazis. Dadurch hätte er es sich sehr einfach machen können. Jedoch tat er dies nicht, da er erkannt hatte, wie falsch und menschenfeindlich das Regime war. Als Mensch mit klarem Verstand, großem Mut und Zivilcourage durchschaute er, dass hier etwas falsch läuft und man nicht mitmachen darf. Diese Haltung musste er später vermutlich mit dem Tode bezahlen. Albert Richter geriet durch die Nazis fast ganz in Vergessenheit, da sie nach seinem Tod Rufmord betrieben hatten. Nach Richters Tod stand in der Zeitung:
„[...] Wir alle bedauern tief, dass er, der einmal einer der Unsrigen war, auf diese Weise sein Vaterland, das jetzt in den schwersten Stunden sich durchzukämpfen hat, verriet. Sein Name ist für alle Zeit aus unseren Reihen gelöscht.“
Mittlerweile wird aber wieder häufiger an ihn erinnert und es gibt Versuche, ihn in die Erinnerungen der Menschen zurückzuholen. Das ist sehr wichtig, denn gerade in der heutigen Zeit, in der der Rassismus weltweit und auch in Deutschland wieder zunimmt, da die Grausamkeit des NS-Regimes teilweise vergessen zu sein scheint, sollte man weltoffene Menschen ohne Vorurteile wie Albert Richter als Vorbild haben. Denn eines ist für uns klar: Wenn es mehr solcher Menschen wie Albert Richter gegeben hätte, wäre das NS-Regime mit dem damit verbundenen Zweiten Weltkrieg und Holocaust nie möglich gewesen.