Noch während in Köln das Stadtradeln 2024 dem Ende entgegengeht, radeln 20 Kölner/-innen schon über Terschelling (NL). Im Norden der Insel finden wir Unterkunft inmitten eines Kiefernwaldes in einer Herberge des Folkshegeskoalle. Vor uns liegen fünf Tage, in denen wir die Insel erkunden und Grundlagenkenntnisse über das Watt, das Leben im Watt, die Geschichte der Insel, Radioastronomie und insgesamt die Bedeutung elektromagnetischer Strahlung in Wissenschaft und Natur erwerben wollen.
Wir messen etwa die Wasserstoff-Emission der neutralen Wasserstoffwolken in der Milchstraße (siehe hier), simulieren Bio-Lumineszenz, eine Licht-Emission, wie sie von Leuchtkäfern, Dinoflagellaten und auch von von einigen Rippenquallen emittiert wird, die wir am Strand im Tagesfang eines Bio-Projektes der Universität Nijmegen bewundern können, und stellen auf Wanderungen durch das Watt fest, dass nahezu alles dort essbar ist: Garnelen, Meersalat und Austern probieren einige roh und direkt vor Ort. Strandkrabben, die sich in Scharen unter den Befestigungssteinen finden, verschmähen wir als Speise zwischendurch. Wir erfahren, dass Willem Barents – nach dem die Barentssee benannt ist – ein Mann aus Terschelling war, und besuchen das Natur- und Landschaftsmuseum. Mit Ferngläsern und Spektiv ausgestattet beobachten wir Gänse, Enten und Wattvögel, darunter auch einige Löffler, die auf Terschelling eine Kolonie gegründet haben. Unser Versuch, am Abend visuelle Astronomie am Strand zu betreiben, wird durch Nebel und Wolken gestört, und so behelfen wir uns mit digitalen Applikationen, beobachten die Fischer und Arbeitsschiffe, die sich auch bei Nacht anhand ihrer Lichtkennzeichen identifizieren lassen, und bewundern den fast vollen Mond. Ergänzt und abgerundet wird die Praxis durch Vorträge von Teilnehmern und Experten im Seminarraum, der danach zu unserem Essraum wird.
Mit den Rädern gelangen wir mühelos überallhin, allerdings gibt es auch immer einen Rückweg, bei dem uns der Gegenwind fast aus den Sätteln bläst. Nach den Schrecken der ersten Fahrten nimmt zum Glück unsere Kondition schnell zu – aber nicht, dass Gegenwind je unser Freund wurde.
Die Insel ist heute ein friedlicher Ort. Ferienparadies war er auch schon in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts und viele Amsterdamer besaßen auch damals schon ein Sommerhaus auf der Insel.
Als die Deutschen die Niederlande überfielen, veränderte sich die Idylle. Aus Sicht der deutschen Militärführung waren die Inseln im Wattenmeer ideal geeignet, um Radarstationen zu errichten, die anfliegende britische Flieger frühzeitig erfassen konnten sowie die Koordination der eigenen Luftwaffe ermöglichen sollten. In Terschelling errichtete die Marine eine solche Radarstation, die "Tigerstellung", so genannt, weil es üblich war, den Radarstationen Tiernamen zu geben, die mit dem Anfangsbuchstaben des Zentralortes – hier Terschelling – begann.
Auf einem Hügel bei West-Terschelling riss die Marine alle Sommerhäuser ein, rodete den Kiefernwald und errichtete mithilfe von Zwangsarbeitern diese Anlage mit weit über 65 einzelnen Bunkern; auf ganz Terschelling wurden über 550 Bunker errichtet.
Heute kann diese Bunkeranlage als Erinnerungsort besichtigt werden. In einigen – zugänglichen – Bunkern wird die Geschichte verdeutlicht: das Alltagsleben der Mannschaften und Offiziere in der "Tigerstellung", der Alltag auf der besetzten Insel, erinnert wird aber auch an die jüdische Bevölkerung, die zunächst nach Westerborg und schließlich nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde, sowie an die jungen Zwangsarbeiter aus Terschelling, die die Deutschen entführten und für ihre Militärproduktion in Deutschland (Liebenau und Walsrode bei Bremen) missbrauchten. Schließlich wurden durch die Marineführung auch noch große Teile der Insel geräumt, viele Häuser eingerissen und ihr Material für militärische Befestigungsanlagen genutzt.
80 Jahre später stehen zum Glück wieder Ferienhäuser auf der Insel und die Insulaner begegnen uns trotz dieser Geschichte überall mit großer Freundlichkeit und Zuwendung. Die erfahren wir auch am letzten Abend, als wir im "Besten Restaurant der Insel" gemeinsam zum Essen gehen. Irgendwo haben Frau Berlin und Herr Bergheim einen Batzen Geld gefunden, den sie uns für das Essen zur Verfügung stellen. Das leckere Essen versöhnt uns mit Gegenwind, gesunder Kost, immer zu viel Programm – aber die Abende und … – der Rest ist Schweigen.
(22. Sept. 2024, Ber)